Inzwischen ist es fast ein Jahr her, Seit ich den Kontakt zu meiner langjährigen Psychotherapeutin abgebrochen habe – und noch immer belasten mich die Erlebnisse mit ihr und der daraus resultierte Therapieabbruch massiv.
Die gut gemeinten Ratschläge wie „vergiss es doch einfach“, „sei froh, dass du weg bist“ und „du musst jetzt nach vorne schauen“ helfen mir in diesen Momenten überhaupt nicht. Diese Sätze bewirken eher das Gegenteil, denn ich fühle mich unverstanden und nicht ernst genommen. Ich würde diese Erlebnisse ja gerne vergessen, ich würde ja gerne froh drüber sein und nur noch nach vorne schauen, doch es klappt irgendwie nicht! Gedanken wie: „was stimmt mit mir nicht? und „was mache ich nur falsch“ drängen sich daraufhin in den Vordergrund und lösen bei mir massive Schuldgefühle aus. „Hör doch nicht hin!“ ist dann bestimmt der nächste Tipp, oder?
Meine Vermutung ist, dass mein Gegenüber seine eigenen Gefühle von Hilflosigkeit und Ohnmacht nicht spüren will und deshalb alles versucht, diese wirklich mehr als unangenehmen Emotionen loszuwerden im Sinne eines psychologischen Selbstschutz. Schließlich möchte man der Person helfen und fühlt aber, dass Hilfe in diesem Fall gar nicht so leicht ist. Man fühlt sich ohnmächtig (im Sinne von „ohne Macht“) und diese Gefühle sind oft unaushaltbar für einen Selbst. Deshalb sagt man irgendwas, oft auch unüberlegt, dass dieses Gefühl der Hilflosigkeit, der Ohnmacht so schnell wie möglich wieder verschwindet. Jetzt ist der andere wieder dran, denn er muss ja jetzt „nur“ sein Verhalten und/oder seine Gedanken ändern und man selbst braucht sich nicht mehr hilflos fühlen – man hat ja schließlich etwas getan, um eine Änderung des eigenen Hilflosigkeitsgefühl herbeizuführen.
Oder was meint ihr?
Warum diese Vorschläge für mich nicht so einfach umzusetzen sind, will ich in diesem Blogartikel ein bisschen erklären. In erster Linie für mich, da ich auch dazu neige, diese Erkenntnisse zu ignorieren und mich selbst deshalb unter Druck zusetzen. Aber auch für alle Interessierten, die mit Menschen zu tun haben, die „nicht können, wie sie wollen.“ gibt´s bestimmt die eine oder andere brauchbare Information.
Traumafolgestörung
Die Vermutung meiner Ergo- und Kunsttherapeutin, die Ursache meiner Symptome und meiner Monster im Kopf im Bereich der Traumfolgestörungen einzuordnen, hat sich durch den Termin bei Traumatherapeutin bestätigt. Auch konnte ich durch das Gespräch für mich klären, dass in meiner langjährigen Psychotherapie nicht alles mit rechten Dingen abgelaufen ist* und nun ein vermeidbarer Behandlungsfehler mit Retraumatisierung bzw. Traumareaktivierung im Raum steht – mit all den dazugehörigen Folgen und Schädigungen.
*über Einzelheiten kann und will ich noch nicht schreiben
Intrusionen und Dissoziationen
Gerade die Situation von meiner letzten Therapiestunde hat sich in meinem Kopf eingebrannt. Immer wieder kramen meine Monster im Kopf alte Szenen raus und spielen sie in perfekter HD – Qualität und Dolby Surround in meinem inneren Kino ab. Ich sehe dann, wie sich meine hilfreiche Psychotherapeutin in ein böses Monster verwandelt, mich mit kalten Augen böse anstarrt und mich anbrüllt. Ich fühle mich in diesem Moment hilflos und ohnmächtig ausgeliefert, mein Herz rast und mein Hals fühlt sich wie zugeschnürt an – ich möchte die Flucht ergreifen, doch ich kann mich nicht bewegen.
Intrusionen sind ein Überbegriff für das Wiedererinnern bzw. Wiedererleben von psychotraumatischen Ereignissen durch ungewollt in das Bewusstsein „eindringende“ Gedanken, Bilder, Gefühle und Albträume. Sie werden durch einen inneren oder äußeren Schlüsselreiz ausgelöst (Trigger). Das Wiedererleben kann Gedanken, Gefühle, Körperempfindungen und verschiedene Wahrnehmungen (Bilder, Geräusche, Gerüche u. a.) umfassen und ist in der Regel sehr belastend, da es die in der (vergangenen) traumatischen Situation erlebte Todesangst, Ohnmacht und Hilflosigkeit in einer Hier-und-Jetzt-Qualität aktiviert. Die Intrusionen können eine Person emotional überwältigen, ein Wegschieben bzw. Ausblenden der Erinnerung ist häufig nicht ohne weiteres möglich. Intrusionen sind also keine gewöhnlichen Erinnerungen, sondern haben eine „Hier und Heute“-Qualität statt „Dort und Damals“.
Quelle: Trauma Hilfe Zentrum Nürnberg
Die Bilder der verwandelten Therapeutin und die dazugehörigen Gefühle überfallen mich immer noch unkontrollierbar und irgendwann bin ich dann weg – in der Fachsprache heißt das wohl Dissoziation
Ja, es ist vorbei und am liebsten würde ich diese Erfahrung für immer aus meinem Gedächtnis verbannen. Denn auch wenn mir vom Verstand her klar ist, dass dieses Erlebnis vorbei ist und ich diese Therapeutin nicht wieder sehen muss, reicht allein leider dieses Wissen nicht aus, um diese Symptome verschwinden zu lassen.
Angst und Panik
Egal wo ich mich aufhalte, die Angst, dieser Therapeutin nochmal zu begegnen, ist ständig präsent. Egal, ob ich in der Stadt unterwegs bin, bei meinem Arzt, wo auch ihre Praxis mit drin ist oder in „meinem“ Wald beim Laufen (dort habe ich sie auch schon getroffen) überrollt mich regelmäßig die Befürchtung, dass sich unsere Wege kreuzen. Ich bekomme dann Beklemmungen, Herzrasen und die Monster im Kopf starten das Kinoprogramm der Intrusionen. Es ist auch schon vorgekommen, dass ich beim Anblick ihres vorbeifahrenden Autos dissoziierte und nicht mehr wirklich weiß, wie ich nach Hause kam. Diese Zustände machen mir ebenfalls Angst
Zerstörtes Vertrauen
Die Information, dass meine langjährige unpassende Psychotherapie ungeahnte Folgen für mich beinhaltet, hat meinem Kopf ein ziemliches Chaos angerichtet und nicht nur in meinem Kopf. Dieses Wissen tut auch ziemlich weh – der Klumpen im Bauch macht sich schmerzhaft bemerkbar und es fühlt sich an, als ob mir gerade der Boden unter den Füßen weg gezogen wurde und ich ins Bodenlose falle.
12 Jahre sind eine verdammt lange Zeit – eine Zeit, in der ich meiner Psychotherapeutin vertraut habe, mir helfen zu wollen. Ich hatte keine Ahnung, wie Psychotherapie funktioniert, welche Rahmenbedingungen gelten und welche unterschiedlichen Therapieverfahren es gibt. Die Zusicherung meiner Therapeutin, ich müsse mir um diese Bedingungen keine Gedanken machen, sie sei für mich da, solange ich sie brauche, sorgten dafür, dass ich keine Fragen dazu stellte.
Auch durch ihre eindrückliche Empfehlung nicht über die Inhalte in der Therapie mit Außenstehenden zu sprechen oder mich außerhalb der Therapiestunden über Diagnosen, Behandlungsmöglichkeiten zu informieren, kam ich gar nicht auf die Idee, irgendwas in Frage zu stellen. Sie begründete diese Handlungsanweisung damit, dass ich mich so besser auf mich selbst konzentrieren kann und nicht zusätzlich von Ratschlägen anderen unter Druck setzen lasse. (dies ist anfangs oft genug vorgekommen, als ich mich Mitmenschen geöffnet habe und es mir anschließend viel schlechter ging). Meine Fragen nach Diagnosen oder Therapiealternativen blockte sie mit „die sind nicht relevant für die Behandlung , die Diagnosen braucht nur die Krankenkasse“ und „ich weiß schon, was ich tue“ ab und ich traute mich nicht weiter nachzufragen, aus Angst als blöd/dumm dazustehen. Das gleiche passierte, als bei mir die ersten Zweifel an ihrer Therapiestrategie aufkamen: „Wenn Sie mir nicht (mehr) vertrauen, suchen Sie sich einen neuen Therapeuten!“ schmetterte sie mir entgegen und ich war still.
Die Fragen, warum ich so lange bei ihr blieb, obwohl meine Symptome sich gar nicht besserten, teilweise sogar verschlimmerten oder neu hinzutraten, kann ich nicht wirklich beantworten. Irgendwas in mir hatte wahrscheinlich immer noch die Hoffnung und das Vertrauen in meine Therapeutin, dass sie weiß was sie tut und wenn ich mich nur genug anstrenge, es mir bald besser gehen wird. Ich gab mir die Schuld und fühlte mich wie ein Versager.
Schuld- und Schamgefühle
Diese Schuld- und Schamgefühle gehören ebenfalls, laut der Traumatherapeutin, zu den Symptomen einer Traumafolgestörung. Traumatisierte Menschen leiden häufig unter ausgeprägten Schuld- und Schamgefühlen. Sie fühlen sich verantwortlich für das, was ihnen angetan wurde, auch wenn dies nicht den realistischen Gegebenheiten entspricht. Das Gefühl der Schuld ist ein Mechanismus, der einen Ausstieg aus dieser Ohnmacht ermöglicht. Denn Schuld impliziert, dass einem nichts passiert wäre, wenn man sich anders verhalten hätte. Das ist zwar im Moment sehr hilfreich, hindert aber einen daran, das ganze zu verarbeiten.
Für mich sind diese Schuldgefühle momentan sehr quälend, auch wenn mir liebe Menschen sagen, dass ich nichts dafür kann und die Verantwortung für die Fehlbehandlung bei der Psychotherapeutin liegt, kreisen meine Gedanken oft um meinen Anteil für die gescheiterte Behandlung. Warum habe ich nicht früher abgebrochen? Habe ich meine Probleme nicht deutlicher machen können? Hätte ich es nicht früher merken müssen, dass etwas nicht stimmt? Warum habe ich nicht reagiert, als meine Mitmenschen bezüglich meiner Therapeutin misstrauisch wurden? Warum habe ich sie da noch gegen potentielle Anschuldigungen verteidigt? Warum habe ich nicht hartnäckiger nachgefragt, anstatt alles so hinzunehmen? Vielleicht war ich zu kompliziert und die Therapeutin einfach nur überfordert mit mir, weil ich zu wenig / zu langsam /keine Fortschritte gemacht habe?
Therapie
Diese und auch noch weitere Symptome, auf die ich noch nicht so eingehen will, kosten mich momentan sehr viel Kraft, auch wenn das für alle nicht immer so sichtbar ist. Laufen und andere Ablenkungen bewirken leider nur eine kurzfristige Entlastung von den Symptomen und reichen teilweise auch nicht mehr aus, um meine innere Anspannung loszuwerden.
Ich möchte sie lieber heute als morgen in den Griff bekommen und ohne eine erneute Therapie werde ich das eher nicht schaffen. Auch die Traumatherapeutin, sowie meine Ergotherapeutin legen mir nahe, es nochmal mit therapeutischer Unterstützung zu versuchen.
Doch wie diese Folgetherapie, also eine Traumatherapie, genau für mich ablaufen kann, ist noch völlig offen, denn um eine neue Therapie beginnen zu können, muss noch einiges an Behördenkram erledigt werden.
Gottseidank erklärte sich meine Kunst- und Ergotherapeutin bereit, mir soweit wie möglich diese Aufgaben abzunehmen und sich bei Bedarf Unterstützung bei der Traumatherapeutin holen. Meine Erfahrungen mit Behörden sorgten in der Vergangenheit bereits dafür, dass ich bis heute an Albträumen und Panikattacken leide, sobald nur ein Brief mit dem dazugehörigen Logo in meinem Briefkasten landet. („Behördentrauma“ sagt mein Arzt).
Und zu diesen Behördenerfahrungen, kommen jetzt auch noch die Psychotherapieerfahrung – das wird nicht einfach, meint meine Ergotherapeutin, doch es ist möglich!
ICH HABE ANGST !!!
doch das will ich ändern.
ich will wieder leben und nicht nur über-leben
Du hast es – wie immer – auf den Punkt gebracht. Das bewundere ich schon seit langem bei Dir. Ich wünsche Dir, dass Du Stück für Stück all´das, was Dich belastet, los werden wirst. Und versuche bitte, Dich selbst dabei nicht unter Druck zu setzen. Ich weiß, dass dies nicht leicht werden wird. Aber ich finde Dich soo mutig, dass Du diesen schweren Weg in Angriff nehmen willst. Du bist ein gaanz toller Mensch, von dem einige noch viel lernen können…. Ich möchte gerne dazugehören. Fühl Dich ganz fest gedrückt. LG Bettina
Vielen lieben Dank für’s Lesen und deine Worte. Sie tun mir wieder sehr gut 🤗🤗🤗
Erstmal Hallo und danke dafür das ich es lesen darf! Ich finde es sehr gut das Du an deiner jetzigen Situation was ändern möchtest und mich freut dein Satz“ Ich will endlich leben und nicht Über-leben“. Ich finde auch, das Du hier alles so stark beschreibst und auch sehr mutig überhaupt darüber zu „ schreiben „! Ich wünsche Dir für die Traumatherapie von Herzen eine Verbesserung und einen guten Verlauf. Und noch eine Bitte: Wenn dich diesmal das Bauchgefühl begleitet, das ist es nicht oder das tut Dir nicht gut, dann höre auf dein Gefühl… denn keiner ist allmächtig und hat die Weisheit mit Löffeln gegessen! Mir fiel bei der Beschreibung der ersten Therapeutin auf, das sie sehr von sich überzeugt war! Das mag einerseits ja einen tollen Eindruck vermitteln aber niemanden ist geholfen, wenn nur passieren soll, was sie will und nicht was DU willst! Du bist die Hauptperson und Dir soll geholfen werden!! Punkt. Fühl dich gedrückt 🤗
Erstmal vielen lieben Dank für Lesen 🤗 und es freut mich total, dich als neuen Follower begrüßen zu dürfen.
Das mit dem „eher suboptimalen“ Vertrauen zu dieser Therapeutin, ist mir in der letzten Zeit schmerzhaft bewusst geworden…das mit dem Bauchgefühl und der eigenen Wahrnehmung vertrauen „muss“ ich noch lernen. Auch dieses „was will ICH“ wird ein Thema in der Therapie werden… ich habe da wohl viel nachzuholen 🙄
Danke für deine guten Wünsche und lieben Worte 🤗🤗
Vielen lieben Dank für deine Antwort! 🤗 Da muss „ ich“ wohl noch dazulernen um mich besser in deine Situation hineinzufühlen. Das was wir bzw ich als normal empfinden, mag sich bei Dir etwas verschoben haben. Verständlicherweise… Du wurdest bestimmt schon X mal von Leuten mit Ratschlägen überhäuft… ich glaube am Ende wüsste ich auch nicht mehr, ob ich mir selber oder den anderen vertrauen kann! Das wird kein einfacher Weg, aber DU kannst es schaffen!!! Ich sende dir hiermit ganz viel Power 💪 dafür und wünsche Dir, das ganz viele Freunde hinter Dir stehen! ❤️🤗
Liebe Polarschnecke
Genau dafür habe ich unter anderem mit dem Bloggen angefangen! Ich möchte ein bisschen Aufklären über psychische Erkrankungen und Therapiemöglichkeiten. Aufklären, wie ICH mit meinen Monstern im Kopf und deren Auswirkungen lebe und vielleicht hilft es auch anderen Betroffenen und deren Angehörigen ein bisschen.
Ich freu mich wirklich über deine liebe Nachricht und sie zeigt mir, dass du dich mit dem Thema beschäftigst… und das ist mega!
Ganz liebe Grüße und danke für die guten Wünsche