Können psychische Störungen ignoriert oder verdrängt werden?
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen JA! – zumindest für einen gewissen Zeitraum.
Ursachen für Verdrängung und Ignoranz
Meistens ist es so, dass psychische Erkrankungen von den Betroffenen vor ihren Mitmenschen verborgen werden – aus Scham und Angst vor Stigmatisierung und Vorurteilen. Aber auch vor sich selbst, starten Menschen regelmäßig den Versuch, psychische Probleme zu ignorieren oder zu verdrängen.
Nach Außen entsteht deshalb dann der Eindruck, dass der betroffene Mensch gesund ist. Sätze wie: „Das sieht man dir gar nicht an“ oder „du wirkst gar nicht so krank“ bekommen die Betroffenen dann regelmäßig zu hören, wenn Nichtbetroffen über die Erkrankung in Kenntnis gesetzt werden.
Diese Sätze lösen z.B. bei mir das Gefühl aus, dass mir nicht geglaubt wird.
Ich frage mich dann, wie denn jemand mit einer psychischen Krankheit ausschauen sollte: Ungepflegt? Fettige Haare? Über- /Untergewicht? Zwangsjacke? Wie wär´s mit einer grünen Nase?
Schwierig – ein Diabetiker läuft ja auch nicht mit seiner Insulinspritze herum und zeigt ungefragt seine Einstichstellen.
Irgendwann kommt der Zeitpunkt, da holen dich die Symptome, die Probleme wieder ein – egal ob der Zeitpunkt gerade dafür passt oder nicht. Irgendwann lässt die Kraft für die Symptomunterdrückung einfach nach – egal wie sehr du das nicht willst, egal wie du dich bemühst, dich anstrengst oder dir das wünschst. Meistens bleiben die Symptome für das Umfeld weiterhin verborgen, denn die Mehrzahl der Betroffenen ziehen sich zurück – weil sie sich für ihre Schwäche schämen, weil sie andere nicht belasten wollen, weil sie Angst vor Stigmatisierung und unpassenden Reaktionen (blöde Sprüche) haben
Mein Versuch meine Probleme zu ignorieren
In den letzten Wochen versuchte ich meine Krankheiten zu verdrängen und deshalb hat es auch etwas gedauert bis dieser neuen Blogartikel entstanden ist.
Vielleicht haben sich einige auch schon gefragt, warum hier auf dem Blog schon lange kein neuer Beitrag veröffentlicht wurde.
Der Termin bei der Traumatherapeutin löste bei mir ein ziemliches Chaos aus und meine Monster im Kopf veranstalteten ein ziemliches Durcheinander zwischen älteren und neueren Erinnerungen, die mich daran hinderten mich für ein Blogthema zu entscheiden. Beim Schreiben entstanden immer neue Themen und so fing ich viele Artikel an, konnte aber keinen beenden.
Ich versuchte, mich nicht mehr mit meiner Psyche / meiner Seele beschäftigen – ich wollte LEBEN. Mein Leben genießen ohne Probleme zu wälzen. Meine Monster im Kopf vergessen. Mich auf die angenehmen Aktivitäten konzentrieren, die mir keine oder „nur“ wenig Angst machen.
Auch wollte ich am liebsten diesen Termin bei der Traumatherapeutin mit samt seinen aufgekommenen Erinnerungen aus meinem Kopf verbannen, doch das hat nur bedingt geklappt – nachts und in Ruhe kamen die Monster im Kopf hervor, quälten mich mit Albträumen, Ängsten, Panikattacken, Suizidgedanken, Heulattacken, Dissoziationen, innerer Anspannung und Unruhe, die ich auch durch vermehrten Sport und Ablenkung nicht in den Griff bekam. Mein Körper fing an erneut ein Eigenleben zu entwickeln: ich vertrug nicht mehr alle Nahrungsmittel, d.h. ich bekam vermehrt Bauchschmerzen, Hautauschlag, Schlafstörungen, Herzrasen und Menstruationsstörungen, was bei mir ein Anzeichen von zu viel Stress ist.
Ich kann also meine psychische Probleme nicht dauerhaft verdrängen oder ignorieren.
Doch genau dieses Ignorieren von psychischen Problemen verlangt ein großer Teil der Gesellschaft, in dem er psychische Probleme als Befindlichkeitsstörung oder persönliche Schwäche deklariert. Betroffene Menschen bekommen dann Sprüche wie „stell dich nicht so an“, „jeder ist mal traurig/hat mal Angst/Bauchschmerzen“, „reiß` dich mal zusammen“ zu hören und werden so mit ihren Problemen nicht ernst genommen.
Ich wurde gezwungen, meine Krankheit zu verdrängen
Auch ich sollte meine psychische Erkrankung vor anderen verstecken, z.B. verbot mir die Sachbearbeiterin bei der Arbeitsagentur, meine Krankheit und meine Schwerbehinderung gegenüber potentiellen Arbeitgebern anzugeben. Ich sollte also so tun, als hätte ich keine Einschränkungen und musste so viel Kraft aufwenden, um meine Symptome, wie Ängste, Unsicherheiten, Müdigkeit (durch die Schlafstörungen) zu verbergen. Dazu kam dann jeden Tag die Angst dazu aufzufliegen, dass die Krankheit entdeckt wird und der Arbeitgeber sich (zurecht) betrogen fühlt. Diese Kraft fehlte mir dann natürlich bei der Bewältigung meiner täglichen Arbeitsaufgaben und ich begann mehr und mehr Fehler zu machen. Ich wollte mich aber nicht so anstellen und mich zusammen reißen, doch ich schaffte es nicht: Die Symptome verstärkten sich durch den Stress und ich wurde komplett arbeitsunfähig.
Wenn andere deine Krankheit ignorieren
Leider hilft auch der offene Umgang mit den psychischen Erkrankungen nicht, wenn die andere Seite, also die „gesunden“ Mitmenschen, sie ignorieren oder verdrängen. Bei meinem letzten Arbeitsplatz bin ich von Anfang an offen mit meiner Behinderung umgegangen, d.h. ich habe schon während dem Praktikum erklärt, welche Rahmenbedingungen ich brauche, um konzentriert arbeiten zu können. Das 3 monatige Praktikum verlief für alle Beteiligten so zufriedenstellend, dass ich danach einen Arbeitsvertrag unterschreiben durfte. Doch plötzlich waren die vorherigen Vereinbarungen vergessen und die Kollegen ignorierten/verdrängten meine psychischen Einschränkungen, sowie sämtliche für mich nötigen Rahmenbedingungen (keine klaren Arbeitsanweisungen mehr, zu viele Aufgaben gleichzeitig, zu viele Arbeitsunterbrechungen,..) Gespräche zwischen den Mitarbeitern, meiner Integrationsbetreuerin und mir änderten leider nichts an den für mich unerfüllbaren Anforderungen durch die Kollegen. Meine Arbeitsleistung verschlechterte sich, die Symptome meiner psychischen Erkrankungen verstärkten sich massiv und ich wurde dadurch erneut komplett arbeitsunfähig. So kam es, dass ich nach 6 Monaten meinen Job verlor und meine berufliche Eingliederung schlug erneut fehl.
Diese Beispiele zeigen hoffentlich, dass die Verdrängung und Ignoranz von psychischen Problemen eher – um es vorsichtig auszudrücken – suboptimal ist. Es gibt nun mal Menschen, deren Krankheit psychisch bedingt ist und in einem älteren Beitrag von mir findet ihr dafür bereits einige Infos.
Also was tun? – Mein Fazit
Mein Wunsch ist es, dass psychische / unsichtbare Erkrankungen genauso akzeptiert werden, wie körperliche / sichtbare Erkrankungen. Ich möchte mich irgendwann nicht mehr verstecken müssen, sowie ohne Scham und Schuldgefühle mit meinen Monstern im Kopf umgehen können. Menschen mit Krebs, Diabetes oder einer Allergie schämen sich ja auch nicht.
Und diese Parallele zu körperlichen Erkrankungen ist es vielleicht auch, die hilft, Antworten auf viele Fragen von Mitmenschen zu geben, die beim Umgang mit Betroffenen auftauchen, sowie zu allen anderen Themen über psychische Erkrankungen generell. “ Würde ich das jetzt auch sagen, wenn mein Gegenüber ein gebrochenes Bein hätte? Wie würde ich mich verhalten, wenn es eine Allergie wäre?“ Alleine wenn man sich diese Fragen vorab stellt, kann helfen mit dem Thema entspannter umzugehen.
Es gibt Dinge, die fallen mir schwer (z.B. Telefonate mit Unbekannten), dafür kann ich gut komplexe Informationen schriftlich zusammen fassen. Andere lieben es mit Menschen zu kommunizieren, brauchen aber vielleicht Unterstützung beim Lesen und Schreiben (z.B. Sehbehinderte Menschen). Ich denke, jeder Mensch hat seine Stärken und Schwächen, egal mit oder ohne Behinderung, mit oder ohne sichtbare/unsichtbare Erkrankung….lasst uns miteinander und nicht übereinander reden.
Reden hilft, Zuhören auch
Sonja, ich gebe dir Recht. Reden hilft, zuhören auch!
Nachfragen aber auch, denn dann besteht die Chance, Dinge auch zu verstehen.
Ich habe seit vielen Jahren Diabetes, der sich bei gleichzeitiger genetischer Veranlagung als Folge einer langjährigen Essstörung entstanden ist. Ich habe den Diabetes in meinem Umfeld kaum thematisiert, weil ICH damit umzugehen lernen musste und keine Lust hatte, Nichtbetroffenen ihre zum Schein interessierten Fragen irgendwie beantworten wollte, um sie kurzfristig zufrieden zu stellen. Dabei wäre mir eine ausführliche Beantwortung deutlich lieber gewesen. Diese ausführliche Antwort hätte ich nicht immer geben können, was mich dann psychisch herunter gezogen hätte (wegen bestehender rezidivierender Depression). Deshalb habe ich mich häufig entschieden, solche Erklärungen aus Selbstschutz erst gar nicht abzugeben.-
In meiner Herkunftsfamilie war es üblich, über Krankheiten nicht zu reden.
Zu der Zeit als mein Schwager seine Hochzeit geplant hatte, hatte ich ziemliche Probleme damit, mit rauchenden Menschen in einem Raum zu sein. Da auswärts in einer großen Location mit mehreren Räumen gefeiert werden sollte, habe ich meinen Schwager damals gefragt, ob es auch einen Raum für Nichtraucher geben würde. Das war 1995 und er antwortete mit NEIN. Diese Antwort hatte ich nicht erwartet, weil mein Schwiegervater damals bereits lungenkrank war und ich auch für ihn gehofft hatte, dass die Antwort anders ausfallen würde. Es quälte mich wochenlang, sodass mein einziger Ausweg aus dieser Situation war, lediglich zum Standesamt mitzugehen, das Geschenk zu übergeben und mich dann zu verabschieden.
Mein Mann (starker Raucher, der zuhause nur auf dem Balkon geraucht hat) ist dann mit der Hochzeitsgesellschaft in die Location gefahren und hat mir hinterher berichtet, dass mein Schwager schwer sauer auf mich sei wegen meines Fernbleibens. Ich weiss nicht, ob mein Mann ihm den Grund dafür mitgeteilt hatte oder nicht. Aber mein Schwager und ich haben bir heute nicht mehr darüber gesprochen.
Ich fände es sehr wichtig, darüber zu sprechen und damit auch Klarheit darüber zu geben. Aber Reden ist manchmal leider über viele Jahre nicht möglich, warum auch immer….! Leider!
Liebe Sonja, dies ist mir spontan zu deinem Text eingefallen. Ich weiss nicht, ob es den Rahmen sprengt. Ich hoffe nicht. Manchmal ist Reden soviel komplizierter als es den Anschein macht.
Aber wenn die Möglichkeit besteht, zu reden, bin ich absolut deiner Meinung, dass sie genutzt werden sollte. Solche Chancen sollte man sich nicht entgehen lassen. Wer weiss, welche Missverständnisse mit Reden aus dem Weg geräumt werden könnten…. Das ist es meiner Meinung nach auf jeden Fall wert, ins Reden zu kommen, egal wie lange es schon dauert. Liebe Grüße, Bettina
Liebe Bettina,
Vielen Dank für deine Offenheit 🤗 ja, stimmt zum ZUHÖREN und REDEN gehören mindestens Zwei…sobald einer blockiert, egal ob zuhören oder reden, funktioniert es leider nicht. Das ist schade, aber oft nicht zu ändern. Man es dem anderen Menschen nur anbieten, zwingen funktioniert nicht…da hilft nur die Situation erstmal so wie sie ist zu akzeptieren, sonst macht man sich kaputt….so schwer es auch fällt. 🤗🤗
LG Sonja
Du benennst da ein Problem, auf das ich im Moment besonders bei meiner Arbeit wieder so unglaublich oft stoße. Ich wünschte, es gäbe ein objektives Energiemessgerät, das einmal festhalten kann, wie viel Energie es alleine einen psychisch erkrankten Menschen kostet, die psychische Erkrankung zu verheimlichen/zu verdecken. Ich hoffe, das, was Du dir wünscht, wird einmal wahr – dass psychische Krankheiten genauso Akzeptanz finden, wie es körperliche in der Regel tun. Und bis dahin wünsche ich uns im Kleineren ein Umfeld, wo diese hilfreiche Offenheit zumindest in einem engeren Kreis möglich ist. 🙂 Alles Liebe!