Hallo 👋 – nach längerer Blogpause habe ich endlich wieder genug Schreibenergie, um einen neuen Beitrag von mir und meinen Monstern zu verfassen.
Ihr habt sicher bemerkt, dass ich mich in der letzten Zeit sehr zurückgezogen habe, doch soziale Kontakte überforderten mich und mir ging es nach jedem Gespräch mit Anderen, das über Smalltalk hinaus ging, schlecht. Ich konnte mir das lange selbst nicht erklären, doch inzwischen konnte ich mit Hilfe der Ergotherapeutin ein bisschen mehr Verständnis für mich selbst erreichen und verstehe, warum dieser Rückzug gerade notwendig ist.
Die Zeit der Pandemie und ich
Eigentlich wollte ich keinen Blogbeitrag über das Thema Corona schreiben, doch inzwischen ist dieses Thema mit all seinen Ausprägungen überall präsent und beeinflusst meinen Alltag doch mehr, als ich mir eingestehen möchte. Gefühlt ändern sich die Regeln ständig, widersprechen sich, gelten nicht mehr für alle und sind für mich in manchen Fällen nicht mehr logisch. Darunter litten und leiden auch heute noch Freundschaften und andere soziale Kontakte, weil jeder einen anderen Blickwinkel auf den Virus hatte und auch noch hat.
Ich will jetzt hier keine Diskussion entfachen, sondern nur mein persönliches Erleben beschreiben.
Lange kam ich mit den dazugehörigen Einschränkungen und Regeln einigermaßen klar und mein Alltag änderte sich aufgrund meiner Berentung und meinem Singledasein nur wenig. Ich musste mir wegen Kontaktbeschränkungen, Kinderbetreuung, Lebensunterhalt & Co kaum Gedanken machen, da ich mich aufgrund meiner psychischen Erkrankungen schon vor(!) Corona mit diesen Themen auseinandersetzen musste. Durch vorherrschende Stigmata gegenüber psychisch Erkrankten, fehlenden finanziellen Mitteln, Nicht-Mehr-Mithalten-Können, Verkleinerung des Freundeskreises und Ausgrenzung aus dem Berufsleben, lebte ich sowieso schon isolierter als früher.
Ich kenne Kämpfe mit Behörden auf der Suche nach Unterstützung, ich kenne Existenzängste, ich kenne Perspektivlosigkeit und Zukunftsängste (wie geht`s weiter?) – und so konnte ich die Probleme der Menschen, die jetzt aufgrund von Corona unschuldig in Not geraten sind und/oder überfordert sind, den Alltag neu auszurichten und zu strukturieren (Stichwort Homeschooling, Homeoffice, Isolation), gut verstehen.
Zu gut vielleicht, denn die vielen persönlichen Schicksale gingen und gehen mir heute nach, um nicht zu sagen sie triggern meine eigenen früheren Erfahrungen an und sorgen dafür, dass meine Monster im Kopf hyperaktiv werden. Und genau dieses Verständnis für andere, macht(e) mich zu einer guten Zuhörerin – auch für Menschen, denen niemand (mehr) zuhören wollte.
Empathiefähigkeit
Empathie ist mehr als nur Sympathie. Empathie erlaubt uns, Handlungen anderer zu verstehen und ihre Gefühle nachzuempfinden. Dabei spielt es keine Rolle, um welche Person es sich handelt und ob sie uns sympathisch ist oder nicht. Durch Empathie können wir verstehen, wie eine andere Person sich fühlt, ihre Perspektive übernehmen und sogar mit ihren Gefühlen mitfühlen. Das bedeutet, empathische Menschen können emotional mit anderen mitfühlen, auch wenn sie alle Handlungen anderer nicht unbedingt gutheißen. Wohl aber hilft Empathie, anderen Menschen mit mehr Verständnis und Respekt gegenüberzutreten.“ – sie ist also Grundlage eines harmonischen Zusammenlebens.
Nach den neusten Erkenntnissen besteht Empathie aus drei Teilen: emotionale (mitfühlen), kognitive/mentale (rational verstehen) und soziale Empathie (Gruppendynamik verstehen und steuern). Ich möchte aber hier nur auf die ersten beiden Teile eingehen. Der 3. Teil betrifft jetzt meinen Blogbeitrag nicht und ist eher etwas für Führungskräfte und Gruppenleiter (weiterführende Infos)
1. kognitive Empathie
Werden lediglich die Gefühle und emotionalen Stimmungen eines anderen wahrgenommen ohne dass die eigenen Gefühlen darauf reagieren, so spricht man von der kognitiven Empathie. Dazu gehören auch unbewusste und intuitive Signale, die von den Mitmenschen aufgenommen werden. Bei der kognitiven Empathie geht es also vor allem darum, die Emotionen des anderen zu verstehen.
„ich verstehe, was du fühlst.“
2. emotionale Empathie
Im Gegensatz zur kognitiven Empathie, bei der der Mensch lediglich wahrnimmt und versteht, erzeugt die emotionale Empathie eine gleichartige Reaktion des Wahrnehmenden. Der Mensch nimmt also die Gefühle seines Gegenübers an, er fühlt, was auch der andere fühlt. So erklärt sich auch der bekannte Ausdruck „Mitgefühl“. Das beste Beispiel ist dabei eine Szene, die sicherlich jeder schon einmal erlebt hat: Ein Mensch weint, wir wissen den Grund dafür und müssen plötzlich mitweinen.
ich fühle, was du fühlst.“
Obwohl die beiden Empathieformen Unterschiede aufweisen, ist ein Gleichgewicht zwischen beiden wichtig. Ohne die Fähigkeit, die Perspektive einer anderen Person einzunehmen, würde ein Zusammenleben der Menschen in Chaos, Gewalt und Anarchie enden. Durch Empathie gelingt es besser anderer Menschen zu verstehen und so achtsamer mit ihren Gefühlen umzugehen, also sie nicht zu verletzen. Diese Basis von Verständnis kann gleichzeitig auch Stress lindern und die Kommunikation verbessern
Und gerade diese 2. Form, die emotionale Empathie, bereitete mir die letzten Wochen so viele Probleme, so dass ich mich nur noch zurück ziehen wollte. Die Pandemie würfelte bei fast allen Menschen die alltägliche Routine durcheinander und es entstanden Probleme bzw. neue Herausforderungen im Alltag, im Beruf und der Befriedigung von persönlichen Bedürfnissen (z.B. Sicherheit, Zugehörigkeit, soziale Beziehungen, aber auch Grundbedürfnisse wie Nahrung, Wohnen).
In zahlreichen nicht nur oberflächlichen Gesprächen mit Bekannten, sowie im Freundes- und Familienkreis erfuhr ich, mit welchen Schwierigkeiten die Einzelnen zu kämpfen hatten und vieles konnte ich nachvollziehen, mehr noch: ich fühlte den aufkommenden Ärger über die neue Situation, die Wut auf immer neue Einschränkungen, die Angst vor schwerer Erkrankung, den Schmerz des Nichtverstandenwerdens, die Furcht von Freunde und Familie zu verlieren oder die Hilflosigkeit und Ohnmacht, wenn alle Anstrengungen mit der Lage zurechtzukommen nicht funktionieren. Diese Menschen waren und sind mir wichtig, und ich hörte ihnen gerne zu, weil dieses geseitige „für-einander-dasein“ macht ja eine Freundschaft schließlich aus.
Doch irgendwann ging´s mir nach solchen Gesprächen immer schlechter und die Inhalte ließen mich nicht mehr zur Ruhe kommen, v.a. nachts quälten mich die Gedanken daran. Meine Monster im Kopf wiederholten einzelne Gesprächsfetzen in Dauerschleife und ich fand die Stoptaste nicht. Diese Fetzen lösten leider auch die entsprechenden Gefühle aus und sorgten für ein totales Gefühlschaos, mit dem ich so gar nicht umgehen konnte. (aber dieses Thema „Gefühle“ ist sowieso ein schwieriges Kapitel für mich und wird mal ein eigener Blogartikel werden.)
Das dicke Fell
In der Therapie versuchte ich mit Hilfe der Ergotherapeutin eine Antwort auf dieses Gefühlschaos zu finden und die einsetzende Abwärtsspirale nach Gesprächen zu bremsen. Wir stellten fest, dass ich in diesen Situationen nicht mehr unterscheiden kann, was sind meine Gefühle und was sind die Gefühle des Anderen. Innerhalb kurzer Zeit wechselt es innerlich bei mir von Wut, zu Angst, zu Hilflosigkeit, zu nicht definierbaren Schmerz, zu Ärger und wieder zurück. Meine Monster leisten da ganze Arbeit und lassen Gedanken und Gefühle für mich willkürlich aufeinander prallen. Ich versuche dagegen anzukämpfen und suche verzweifelt nach dem Aus-Knopf. Zunehmende Erschöpfung machte sich breit. Jede kleinste Diskussion , winzige Meinungsverschiedenheit oder harmloser Konflikt lies mich inzwischen in Tränen ausbrechen. Überforderung pur. Selbst ein komischer Blick, eine blöde Bemerkung oder Spruch lösten bei mir eine gewisse Hilflosigkeit aus. Ich konnte nicht mehr reagieren und fühlte mich schlecht.
Es reichte z.B. aus, dass auf einem Parkplatz von einem Mann der Spruch kam „Wie kann man denn nur so blöd parken?!“ und ich mich sofort angesprochen fühlte, obwohl ich nichts falsch gemacht hatte. Ich stand mit meinem kleinen Auto direkt neben ihm auf einem gekennzeichneten Parkplatz, genau zwischen den Parkmarkierungen. Ich weiß bis heute nicht, was ihn gestört hat und es sollte mir auch egal sein, doch immer noch beschäftigt mich diese kurze Szene, lässt mich nicht los, frage ich mich, ob ich doch was falsch gemacht habe und fühle mich schlecht, wenn diese Bemerkung durch meine Gehirnwindungen spukt.
Mir fehlt das sogenannte dicke Fell, um die Schwierigkeiten und Probleme von anderen Menschen nicht zu nah an mich ran zu lassen, um sie nicht wie ein Schwamm aufzusaugen und zu meinen eigenen zu machen. Laut meiner Therapeutin wurde mein Fell in den letzten Jahren gerupft, abrasiert und ist an den meisten Stellen gar nicht mehr vorhanden. Die Kämpfe mit Behörden, Arbeitgebern, Ärzten, Angestellte im sogenannten Hilfesystem machten mir das Leben schwer und zerstörten mein „psychisches Abwehrsystem“.
Ich habe also aktuell äußeren Einflüssen so gut wie nichts mehr entgegen zu setzen. Es waren Menschen, denen es entweder komplett an Empathie mangelte oder die zwar ein gewisses Mitgefühl hatten, aber aufgrund von z.B. Sparzwängen, Arbeitgeberloyalität, Selbstschutz nicht dementsprechend handeln durften/konnten und dafür mein Verständnis für ihre persönliche Situation forderten. „Frau W., Sie müssen uns doch auch verstehen, wir haben ….Urlaub/ Personalmangel, müssen noch überprüfen/ klären, sind überlastet/nicht zuständig, …“ war da so ein typischer Satz, wenn es um Ablehnung von berechtigter Leistung oder gebrochener Versprechen ging. Dazu kamen Aussagen, wie „das sehen Sie falsch“, „das dürfen Sie nicht denken“ und „Ihre Angst ist da fehl am Platz“. Und solche Erfahrungen von Ablehnung, Beschuldigungen und Ignoriert werden, musste ich in den letzten Jahren zahlreich machen und dementsprechend entstand in mir das tiefsitzende Gefühl, dass mit mir etwas falsch ist, dass ich falsch bin.
Bei jeder Begegnung mit Menschen bin ich in einer Art „Hab-Acht-Stellung“, ein gewisses Misstrauen gegenüber Menschen, aus Angst wieder verletzt zu werden. Dieses ständige Überprüfen, wie das Gesagte gemeint sein könnte, ist ziemlich anstrengend und kostet soo viel Kraft. Ein „dickes Fell“ wäre auch hierfür sehr hilfreich, um mich vor Angriffen auf meinen Wunden Punkt („ich bin falsch“) zu schützen. Gerade bei Meinungsverschiedenheiten und Diskussionen fühle ich mich sehr schnell „falsch“ und kann dann meine eigene Sichtweise kaum noch äußern. Jedes Wort von mir fühlt sich dann plötzlich nicht mehr richtig an und ich zweifel an meinem eigenen Gesagten. All das verwirrte mich sehr und verunsicherte mich total. Und diese Verwirrung und dieses „schlecht/falsch fühlen“ ließ mich dann auch nachts nicht mehr los.
Ja, ich bin durch das fehlende dicke Fell sehr empfindlich, ja sogar überempfindlich und leider kann ich auf die Schnelle mein Fell nicht dicker wachsen lassen oder mir ein Neues besorgen (oder hat jemand eine Bezugsquelle für mich?) und so muss ich vorerst mit dieser „Dünnhäutigkeit“ klar kommen.
Gefühlsantennen
Diese momentane Dünnhäutigkeit bewirkt, dass sehr stark auf Stimmungen in meiner Umgebung reagiere. Ich merke sehr schnell, ob mein Gesprächspartner sich im inneren Gleichgewicht befindet, also emotional ausgeglichen ist oder sich in einem Stresszustand befindet – auch wenn es sich derjenige selbst nicht bewusst ist. Wie so Antennen, die die Umgebung nach der jeweiligen Stimmungslage scannen.
Bis vor kurzem wusste ich gar nicht, dass ich das kann!? Erst in der Therapie ist mir klar geworden, warum Gefühlsäußerungen meines Gegenübers manchmal nicht mit meiner Wahrnehmung übereinstimmten. Und wieder dachte ich erst, dass mit mir etwas falsch ist. Ich spüre den Ärger, die Wut, aber auch Zweifel , Enttäuschungen oder Unsicherheit (diese Gefühle sind ja in Zeiten von Krisen/Umbruch/Neuem erstmal normal). Doch wenn der Andere dies (noch) nicht spürt oder nicht wahrhaben/ zeigen will, wird`s kompliziert. Ich bin dann so mit dem Wahrgenommen und dem mich Regulieren beschäftigt (weil ich ja diese unangenehmen Gefühle auch nicht haben will), dass irgendwie kaum noch Energie mehr für´s eigentliche Gesprächsthema übrig ist.
Gerade im Freundeskreis bleiben Gespräche selten oberflächlich und dementsprechend spielen Emotionen fast immer eine Rolle. Und durch das fehlende dicke Fell und die Scanner-Antennen dringen die Gefühle des Anderen meist ungefiltert in mich ein und vermischen sich mit meinen Eigenen. Chaos! Und um mich vor diesem Chaos (was auch sehr schmerzhaft sein kann) zu schützen, habe ich mich erstmal zurück gezogen.
Ich brauchte die Zeit um mich zu erholen, ohne mit neuen Chaos konfrontiert zu werden und mich mit Hilfe meiner Therapeutin zu sortieren. Mich ganz auf mich zu konzentrieren ohne zusätzlichen Einfluss von Sorgen/Probleme der Mitmenschen. Eine Pause von der Empathiefähigkeit, um meine Antennen zu schonen und vielleicht auch neu einzustellen. Auch Zeit zum Nachwachsen des dicken Fells.
Vielleicht könnt ihr jetzt ein bisschen nachvollziehen, warum ich meine persönlichen Kontakte in der letzten Zeit auf ein Minimum reduziert hatte. Der nächste Schritt wird sein, die persönlichen Begegnungen nach und nach wieder auszubauen ohne mich erneut zu überfordern. Das bedeutet regelmäßig Pausen zu machen, nicht zu viel auf einmal zu wollen und rechtzeitig Grenzen zu setzen.
Soweit die Theorie 😁 – mal gucken wie ICH das in der Praxis umsetzen kann.
Hallo Sonja, das ist doch vollkommen nachvollziehbar, dass du dich zurückziehen musstest. Ich wünsche dir alles Gute, die nötige Gelassenheit, Ruhe und Geduld, deine persönlichen Begegnungen nach und nach wieder auszubauen ohne dich erneut zu überfordern. Pausen sind dafür unglaublich wichtig, nimm dir so viele davon wie du brauchst! Liebe Grüße, Bettina
Danke, dass du mich und meinen Rückzug verstehst, sowie für die vielen guten Wünsche und deine lieben Worte 🤗🥰
Hallo Sonja. Kann ich gut nachvollziehen. Bei mir nennt sich die ganze Sache co Abhängigkeit. Es ist so schwer bei mir und meinen Gefühlen zu bleiben. Ich kann mich total in anderen verlieren. Es ist wie so oft …ein stetes Üben (für mich) , die goldene Mitte zu finden. Empathiefähigkeit ist ja auch etwas Gutes…nur als Kind musste ich zuviel davon aufbringen, und konnte nicht lernen , ein gesundes „ich“ zu entwickeln. Fällt mir heute noch schwer , es nicht als egoistisch zu sehen, wenn ich Zeit für mich brauche. Aber es ist schon besser geworden!:-) Danke für dein Teilen 🤗
Bei sich zu bleiben und zu unterscheiden, welche Gefühle wohin gehören, ist wirklich gar nicht so leicht. Danke, dass du deine Erfahrungen teilst 🤗🤗🤗