Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt
Eigentlich sollte hier ein Beitrag kommen, der aufzeigt welche sicht – und unsichtbaren Folgen sich durch meine depressiven Phasen ergaben und wie ich durch Aufräumen und Ausmisten wieder mehr Licht am Ende des Tunnels sah. Höhen und Tiefen begleiteten mich während der zweiwöchigen Aktion, die sehr viel Kraft kostete und auch meine Monster im Kopf immer wieder aus der Kiste springen lies. Doch mit Hilfe, kraftvoller Unterstützung und viel Geduld durch ein liebes Helferlein schuf ich eine neue Struktur in meinen eigenen 4 Wänden. Zum guten Abschluss fehlte mir nur noch ein neues Bett – doch da nahm das Chaos seinen Lauf.
Mein liebes Helferlein kürzte auf dem Weg zum gemeinsamen morgendlichen Trailrun die Treppe ab und knickte so unglücklich mit dem Fuß um, dass sie vor Schmerzen nicht mehr aufstehen konnte. Mit meiner Hilfe schaffte sie es gerade noch zurück auf`s Sofa, doch die Schmerzen ließen nicht nach und so verständigte ich den Rettungsdienst, der auch schnell eintraf. Mit starken Schmerzmitteln versorgt fuhren die Sanitäter mein Helferlein zur Behandlung ins Krankenhaus. Ich blieb aufgrund des Coronavirus zurück und musste warten, bis mein Helferlein mich über ihren Zustand benachrichtigen konnte.
In solchen Krisensituationen liebe ich meine Dissoziationen! Meine Monster im Kopf schalten alles Unwichtige aus und das Funktionsmonster übernimmt. Das bedeutet ich verfalle in solchen Situationen nicht in Panik, sondern meine Gedanken sind klar und ich kann ganz rational handeln. Notruf, Bericht an die Sanitäter, Patient beruhigen, Erste Hilfe leisten – alles funktioniert reibungslos und ganz ruhig. Erst später, wenn alle wieder weg sind und ich allein bin, kommt das Gefühl der Überforderung, der Angst und der Sorge um die Verunglückte. Erst dann merke ich die vorherige Anspannung und der Körper reagiert mit einem Zusammenbruch. Glücklicherweise war eine Laufreundin schnell erreichbar, die mir half, das Erlebte zu sortieren und mich unterstützte mich wieder zu stabilisieren.
Kurz darauf erreichte mich auch schon die Nachricht, dass mein mütterliches Helferlein das Krankenhaus wieder verlassen darf und ich sie samt Gipsbein, das den gebrochenen Knöchel stabilisierte, nach Hause holen konnte. Nach dem ich die Osterfeiertage sowieso zusammen mit ihr verbringen wollte, zog ich kurzerhand bei ihr ein, um sie die nächsten Wochen zu versorgen. Das hatten wir eh geplant und dementsprechend eingekauft – nur die gemeinsamen Laufabenteuer wurden erstmal gecancelt. Ich war sehr froh, dass mein Mütterleinchen sich keiner Operation mit einem längeren Klinikaufenthalt unterziehen musste, denn Corona und Krankenhaus sind momentan eine ganz schlechte Kombination (Ansteckungsgefahr, Besuchsverbot).
Die meisten Unfälle passieren im Haushalt
Die letzten Nächte fehlte mir aufgrund der Ausmistaktion und dem Unfall meines Mütterleins ausreichend Schlaf, denn meine Monster im Kopf ließen vor allem nachts, wenn ich schlafen wollte, den Gedankenflipper auf Hochtouren laufen. Tagsüber war ich ja auch gut beschäftigt und abgelenkt. Ich merkte wie meine Kräfte weniger wurden und auch die Konzentration immer mal wieder nachließ. Doch ich wollte unbedingt mein Projekt zu Ende bringen und mich, wenn alles fertig ist, ausruhen.
3 Tage später konnte ich endlich mit Hilfe von meinem Bruder das bestellte neue Bett vom Möbelhaus abholen. Meinem Mütterleinchen stellte ich alle ihre benötigten Utensilien (einschließlich Kaffeemaschine) ans Krankenlager, damit sie während der Bett(auf-)bauarbeiten gut versorgt ist und einen angenehmen Tag – ohne unnötiges Aufstehen – mit Kaffee und Kuchen verbringen kann.
Und so kam es, wie es kommen musste: ich stolperte beim Aufbau des Bettes über ein paar Bretter und verlor das Gleichgewicht. Beim Sturz blieb ich an einer Schubladenschiene so unglücklich hängen, dass mein Unterschenkel eine tiefe Risswunde davontrug. Ich bemerkte die schwere Verletzung erst gar nicht, da ich so gut wie keinen Schmerz verspürte und war dementsprechend sehr erstaunt über die große klaffende Wunde. Ab hier übernahm wieder das Funktionsmonster in meinem Kopf (Dissoziationen) und da mein Bruder ziemlich unter Schock stand, übernahm dieses Monster im Kopf die notwendigen Schritte. Ich setzte selbst den Notruf ab, deckte die Wunde ab und versuchte meinem Bruder die nächsten Schritte zu vermitteln. Leider hatte an diesem Tag einer von uns beiden eine Rechts-Links-Schwäche und so dauerte es immer mal wieder, bis mein Bruder und ich uns einig waren, wo was zu finden ist. Die Dissoziationen machten es mir möglich ruhig und konzentriert zu bleiben und nicht in blinden Aktionismus zu verfallen.
Es dauerte ein wenig bis der Krankenwagen mit den Sanitätern eintraf, doch dafür brachten sie gleich die Polizei und die Feuerwehr mit. Ups! Das lag wohl an meiner Unfallmeldung, denn beim Blick in die große Wunde entdeckte ich etwas Weißes und teilte deshalb der Notrufzentrale einen sichtbaren Knochen mit. Schuld daran sind sämtliche Biologiebücher und anatomische Zeichnungen im Internet: überall werden Muskeln rot und Knochen weiß dargestellt. Die Notärztin stellte dann aber fest, dass kein Knochen sichtbar war und so konnten Feuerwehr und Polizei, ursprünglich alarmiert für die Bergung mit Hilfe der Drehleiter, wieder abrücken.
Ich selbst wurde (auf die gleiche Weise wie 4 Tage zuvor meine Mutter) mit Hilfe eines Tragestuhls in den Rettungswagen verfrachtet und ins nächstgelegene Krankenhaus gebracht. Ich hatte immer noch keine Schmerzen, was in der Notfallambulanz beim Blick auf die Verletzung für Verwunderung sorgte. Leider stellte sich bei der Untersuchung durch den zuständigen Unfallchirurgen heraus, dass die Verletzung operativ versorgt werden muss und daraus für mich ein stationärer Krankenhausaufenthalt folgte. Na toll! Doch viel Zeit zum Nachdenken blieb nicht: Coronatest, Op-Aufklärung, Op-Hemd anziehen, Schmuck entfernen (darunter auch mein Teilnehmerarmband vom Berliner Halbmarathon, welches der Schere zum Opfer fiel), kurz dem Bruder und dem Mütterleinchen Bescheid geben und dann ging´s auch schon vor den Operationssaal. Da ich die einzige Patientin war, bei der noch eine OP anstand, kam ich nicht wie üblich vorher ins Zimmer, sondern konnte im Aufwach(!)raum warten. Dadurch durfte ich mein Handy bis zur Narkose bei mir behalten und die Familie so auf dem Laufenden halten. Für mich war das echt Glück, denn so war ich bis zum Schluss abgelenkt und mein Panikmonster hatte null Chance aus der Kiste zu springen. Stattdessen informierte ich den Anästhesisten über meine Monster im Kopf a la Traumafolgestörungen und mögliche Skills, die mir nach der Narkose helfen können, mich zu stabilisieren, falls es zu Panik – und Angstzuständen kommen sollte.
Es lief alles glatt und ich erwachte mit einem dicken verbundenen Fuß in einem Bett. Schmerzen hatte ich immer noch keine, nur einen mega Durst. Der zuständige Krankenpfleger kam meinem Wunsch nach Wasser schnell nach und fuhr mich dann auf mein Zimmer, in dem ich die die nächsten Tage verbringen durfte. Kurz danach kam der zuständige Operateur zu mir, um mir das Operationsergebnis zu erläutern. Er konnte die Blutung aus dem verletzten Blutgefäß stillen und alle Hautteile, die sich gelöst hatten, wieder annähen. Glücklicherweise wurden auch keine wichtigen Nerven, Muskeln, Sehnen dauerhaft geschädigt.
Im Gespräch stellte sich lustigerweise heraus, dass wir uns von früher kannten (er hat mich schon in der Notaufnahme wieder erkannt) und vor ca. 20 Jahren zusammen auf Freizeiten fuhren, um Konfirmanden zu bespassen. „Soll ich jetzt SIE zu dir sagen?“ fragte ich als erstes, denn schließlich war er jetzt Oberarzt in diesem Krankenhaus. Doch er verneinte und wir ließen ein paar Erinnerungen aufleben, bis er in den wohlverdienten Feierabend verschwand. Seitdem sind wir uns nicht mehr begegnet.
Mein Bett stand direkt am Fenster und ich hatte ein tollen Ausblick auf meinen Hausberg. Ganze 4 Tage musste ich im Krankenhaus bleiben, bis ich dann das Lazarett bei meiner Mutter bezog -zwei Humpelbeine auf dem Sofa! Geteiltes Leid ist halbes Leid – oder so ähnlich. Das bewährte Mutter-Tochter-Team vereint auch in der Verletzungspause. Wir machten die darausfolgenden Wochen das beste draus und ehrlich gesagt, war es uns beiden keine Sekunde langweilig. Irgendwie gab´s immer was zu tun und manche Aktivitäten dauerten schon mal doppelt so lang wie vorher.
Auch der Papierkram, der nach so einem Unfall auf uns zu kam, beschäftigte uns schon mal mehrere Tage bzw. mehr mein Mütterleinchen, da bei mir die Monster im Kopf aufgrund meines „Behördentraumas“ aus der Kiste zu springen drohten. Nach einem kurzen Kampf mit der Krankenkasse wurde uns dann doch noch eine Haushaltshilfe genehmigt, die uns bei den Tätigkeiten unterstützte, die mit Krücken ein Ding der Unmöglichkeit darstellten.
Kommt Zeit, kommt Naht
Das ganze ist jetzt 7 Wochen her und die Verletzung leider immer noch nicht richtig verheilt.
Jeden 2. Tag musste ich zum Verbandswechsel und Wundkontrolle zum Doc und ich hatte immer die Hoffnung, dass ich schneller wieder in die Laufschuhe schlüpfen kann als mein Mütterleinchen (O-Ton Krankenkasse: Ist ja nur ne Schnittwunde) Doch die Haut über meiner Verletzung leider beschlossen nicht mehr anzuwachsen und abzusterben. Deshalb werde ich nächste Woche ein weiteres Mal operiert und bekomme eine Hauttransplantation. Statt auf traumhaften Trails zu laufen beschäftige ich mich mit Operationsmethoden, Aufklärungs- und Anamnesebögen, Transplantationsarten und Krankenhauspacklisten.
Wie lange das ganze dauert? Irgendwas zwischen 14 Tagen und 6 Wochen – kommt drauf an, was die Chirurgen unter der Nekrose finden und wie mein Körper mit einem Stück Haut umgeht, das eigentlich auf einer anderen Stelle meines Körpers gewachsen ist.
Meine Monster im Kopf sind bei der Vorstellung eines Krankenhausaufenthalts leider keine große Hilfe – im Gegenteil. Meine Traumafolgestörungen und medizinische Eingriffe sind für mich keine gute Kombination. Trigger ohne Ende. Corona mit dem einhergehenden Besuchsverbot macht den Aufenthalt nicht gerade leichter.
Newsletter
Um mich während der Zeit im Krankenhaus Ablenken zu können und die Neugierigen unter euch mit Geschichten frisch aus dem Krankenzimmer der Plastischen Chirurgie zu versorgen, gibts hier einen Newsletter, für den ihr euch per Mail anmelden könnt.
In der regelmäßigen Email möchte ich allen Interessierten ein Update geben, wie es mir im Krankenhaus und nach der Operation so geht. Ich möchte dies nicht im Blog schreiben, weil es Leser gibt, die mit Medizin, Krankenhaus, Wunden, so ihre Schwierigkeiten haben und so jeder selbst nochmal entscheiden kann, ob er sich diesem Thema gewachsen fühlt ohne gleich meinen Blog verlassen zu müssen. Im Blog soll es weiterhin um mein Leben mit Traumafolgestörungen gehen und wie mir Laufen hilft, mehr psychische Stabilität zu erhalten.
Also Mutige und Neugierige vor !
und gleich den Email -Newsletter „VERNÄHT & ZUGEFLIXT“ abonniert
Wenn man das so liest kriegt man echt Gänsehaut und meint fast das ist nur ein Alptraum!! Aber leider ist alles so passiert und nun heißt es ganz fest die Daumen drücken für die OP 🍀🍀
Ich wünsche dir von Herzen ♥️ alles Gute und schön das du uns mit dem Newsletter auf dem laufenden hältst 🙏