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Jeder Schritt zählt

….und das nicht nur beim Laufen

Letzten Sonntag durfte ich in München bei einer ganz besonderen Laufveranstaltung mitlaufen: Beim Wings for Life World Run – ein Spendenlauf der besonderen Art, denn er findet GLEICHZEITIG in 72 Ländern statt und 100% der Startgelder fließen in die Rückenmarksforschung, was auch das Motto der Veranstaltung zeigt:

Run for those, who can´t
Lauf für die, die es nicht können

Wings for Life World Run: Der Lauf, bei dem alle Teilnehmer das Ziel erreichen
Der Wings for Life World Run ist ein globaler Charity-Lauf und für wirklich jeden geeignet.
Weltweit, zeitgleich und eine bewegliche Ziellinie

So funktioniert’s:
Der Wings for Life World Run findet jährlich an einem Tag an verschiedenen Event Locations auf der ganzen Welt statt. Der Startschuss fällt überall zur exakt gleichen Uhrzeit, um 11:00 UTC – also 13.00 Uhr Ortszeit in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Egal ob es an deiner Event Location Tag oder Nacht ist, die Sonne scheint oder es regnet – du startest gemeinsam mit der ganzen Welt in ein großartiges Erlebnis!

Eine fixe Distanz wie bei einem Marathon gibt es nicht. Stattdessen laufen alle Teilnehmer vor dem sogenannten Catcher Car – der beweglichen Ziellinie – davon. Dieses startet eine halbe Stunde nach den Läufern und erhöht in festgelegten Intervallen seine Geschwindigkeit. Manche Teilnehmer werden schon nach wenigen Kilometern von der beweglichen Ziellinie überholt – und sind damit die ersten, die ihre großartige Leistung feiern dürfen. Der oder die Teilnehmerin, die weltweit als letzte eingeholt werden, sind die Global Champions.

Für den guten Zweck
Das Beste: Mit deiner Teilnahme unterstützt du Wissenschaftler, die an einer Heilung für Querschnittslähmung arbeiten. Denn 100% aller Startgelder und Spenden fliessen in wichtige Forschungsprojekte zur Heilung des verletzten Rückenmarks. Das ist möglich, weil die administrativen Kosten sowohl von Wings for Life als auch des Events von der Firma Red Bull getragen werden. Hier erfährst du mehr über die Stiftung.

Quelle und weitere Infos: www.wingsforlifeworldrun.com

Ich finde diesen Lauf einfach toll, weil alle – wirklich alle – daran teilnehmen können, egal ob langsam oder schnell, ob zu Fuß oder mit dem Rollstuhl, ob Profi oder Anfänger, ob walken oder laufen, egal welches Alter (ok, das Mindestalter für eine offizielle Teilnahme ist 13 Jahre), welches Geschlecht, welche Religion, welche Nationalität, welche Hautfarbe, sexuelle Orientierung, sichtbare oder unsichtbare Behinderung (meine Aufzählung hat nicht den Anspruch auf Vollzähligkeit und auch die Reihenfolge ist zufällig gewählt) – alle sind willkommen und können an diesem Lauf teilnehmen.

Das nenne ich gelebte Inklusion, denn alle starten gemeinsam, es gibt keine extra Läufe für die unterschiedlichen Gruppen: Rollstuhlfahrer starten im gleichen Block wie Läufer, egal ob sie geschoben werden oder sich mit eigner Kraft vorwärts bewegen. Und was mich am meisten bewegt hat, ist dass (fast) jeder Rücksicht auf den anderen nimmt – Fairness wird hier meistens groß geschrieben und die Atmosphäre ist größtenteils postiv gestimmt.

Dieser Worldrun wird auf der ganzen Welt im TV live übertragen und währenddessen erhält der Zuschauer einige Infos über besondere individuelle Leistungen einzelner Teilnehmer. Und dabei geht es nicht nur um den schnellsten Teilnehmer, der am weitesten gelaufen ist, sondern es stehen auch die im Fokus, die vielleicht „nur“ 300m geschafft haben, bevor das Catcher Car sie eingeholt hat.

Wenn man sich dann mit diesen Menschen genauer beschäftigt, sind 300m für denjenigen eine großartige Leistung, wenn man bedenkt, dass genau dieser Mensch sich aufgrund einer Querschnittslähmung durch einen Unfall mit langem Krankenhausaufenthalt kurz vorher nur im Rollstuhl vorwärts bewegen konnte und bei diesem Event seine ersten Schritte außerhalb des Krankenhauses gemacht hat. Ich kann nur erahnen, wieviel Kraft, Training, Tränen, Rückschläge, Hoffungen, Mut es ihn gekostet hat, soweit zu kommen und das verdient meinen größten Respekt.

Das gleiche gilt meiner Meinung nach auch für die nicht sichtbaren, für Außenstehende vielleicht weniger spektakulären und nicht so medienwirksamen Leistungen bei diesem Event:

  • Da ist vielleicht die Läuferin, die an diesem Tag ihre ersten 5 km gelaufen ist oder der Läufer, der nach längerer Krankheit, endlich wieder laufen kann und den Lauf einfach nur genießt ohne an Bestzeiten zu denken.
  • Oder eine übergewichtige Sportlerin, die bereits 10kg abgenommen hat und mit dem Lauf ihre neue Leidenschaft feiert, ebenso die Patientin mit Magersucht, die endlich ihr Mindestgewicht erreicht hat, um wieder Sport machen zu dürfen.
  • Oder die Gruppe von jungen Menschen mit unterschiedlichen Krebsdiagnosen, die gemeinsam gegen ihre Krankheiten kämpfen und bei diesem Lauf für den einen Freund laufen und für ihn Livevideos drehen, da dieser aufgrund seines schlechteren Gesundheitszustandes nicht mitlaufen darf.
  • Oder auch der junge Mensch, der nach einem Schlaganfall, seine ersten Laufschritte ohne Hilfsmittel absolviert, genauso wie der Mensch mit Down Syndrom, der sich einfach nur freut nicht ausgeschlossen zu sein.
beim wings for life world run 2019

Aber auch die kleinen persönlichen Siege gehören dazu: bei mir war´s die 14km-Marke, die ich endlich erreichte, nach dem in den Jahren zuvor immer kurz davor mein Rennen vom Catcher Car beendet wurde. Auch meine Mutter lief dieses Jahr beim Worldrun ihre längste Distanz (also Bestzeit), obwohl kurz vorher ihre Läufereuphorie beim Halbmarathon in Berlin einen klitzekleinen Dämpfer bekam. Sie hat trotzdem nochmal alles gegeben, hat sich nicht aufgegeben und wurde dafür mit dieser neuen persönlichen Bestzeit belohnt.

Sind diese Leistungen weniger wert ?

Objektiv betrachtet sind es vielleicht nur ein paar 100m mehr, doch für mich (und wahrscheinlich auch für andere Betroffene) bedeuten diese kleinen Schritte einen großen persönlichen Fortschritt, der ohne Engagement, Durchhaltevermögen und Training nicht möglich gewesen wäre.

Der Sport, besonders dieses Event zeigt mir, dass Inklusion, also die Teilhabe aller Menschen, funktionieren kann, doch außerhalb solcher Veranstaltungen sieht die Realität leider anders aus. Da werden Menschen ausgegrenzt und diskriminiert, vielleicht auch „nur“ belächelt, nicht ernstgenommen, weil sie in den Augen anderer angeblich nicht genug Leistung bringen.

Gerade psychische Erkrankungen unterliegen immer noch einem gewissen Stigma und die persönlichen Fortschritte werden nicht gesehen oder einfach nicht anerkannt. Oft wird der eigene Massstab für gute Leistungen verwendet, um die Leistung des anderen zu be-/verurteilen. d.h. für diese Menschen zählt leider nur das sichtbare und in Zahlen dokumentierte Endergebnis und nicht mit welchen Umständen der andere vielleicht kämpfen musste, um dieses Ergebnis zu erreichen.

eigene gestalterische Auseinandersetzung mit dem Thema nach dem Eisbergmodell

Wie bei einem Eisberg ist auch bei Menschen nicht alles auf den ersten Blick erkennbar, oft nur das was sie auch zeigen wollen. Erst bei genauer Nachfrage und ehrliches Interesse an diesem Menschen lässt eventuell auch die Sicht auf das zu, was sich unter der Oberfläche befindet und kann so für ein besseres gegenseitiges Verständnis beitragen.

Auch mir macht mein Bild gerade wieder deutlich, was ich alles schon geschafft habe bzw. mit welchen Problemen ich mich aktuell noch auseinander setzen muss, ebenso welche Kraft ich aufwenden muss, um einigermaßen stabil zu bleiben und womit ich immer noch kämpfen muss. All dies ist für Außenstehende selten beim ersten Eindruck sichtbar.

Ich versuche mein Bestes zu geben – und das ist gut genug.

Deshalb Memo an mich selbst – und auch für alle, die aktuell gegen Vorurteile, (Selbst-)vorwürfe und andere Monster im Kopf kämpfen:

Sei stolz auf dich!
Niemand außer dir weiß, wieviel Kraft, Tränen, Mut und Vertrauen es dich gekostet hat, dort zu sein, wo du jetzt bist
.

Finisher Shirt plus Medaille

6 Gedanken zu „Jeder Schritt zählt“

  1. Sonja, dein Bericht geht mir wieder zu Herzen.❤
    Ja, ich erlebe hautnah deine Höhen und Tiefen mit und kann mich total in deine Gefühlsachterbahn einfühlen. Dies war ja nicht immerso!
    Insbesonders hat mich dein Eisbergbild fasziniert. Hier zeigt es auf, was alles IN dir steckt, manches sichtbar und einiges unsichtbar.
    Schade, dass einige Menschen in unserer Umgebung nur die schönen Bergspitzen sehen können oder wollen. Aber es steckt soviel kunterbuntes Potenzial in dir, das du ruhig den „Andersdenkenden“ auch zeigen darfst.
    Ich bin dir so dankbar, für dein Vertrauen, diese Berichte lesen und miterleben zu dürfen.
    Übrigens, es ist immer ein Vergnügen mit dir zu 🏃‍♀️🏅🏃‍♀️🏅

    1. Ich freue mich wirklich sehr, dass mein Text dich so berühren darf. 🤗
      Falls du mal wieder – stellvertretend für mich – die blöden Sprüche der Andersdenkenden abkriegst, darfst du sie gerne auf meinen Blog und speziell auf den Eisberg hinweisen

      .. und wenn ich mal wieder in Selbstzweifeln feststecke bitte auch 😉😉

  2. Liebe Sonja, ich danke dir für deinen Bericht über den Wings for Life World Run 2019, den du mit deiner Mum an deiner Seite in München erleben durftest. Danke für dein persönliches Eisberg-Bild und ganz besonders danke für die an DICH selbst gerichteten Worte!!! Ich glaube du bist auf einem sehr guten Weg, meine Große.
    Und das macht mich megastolz! Fühl dich gaaaanz fest gedrückt von mir. Deine Bettina

    1. Liebe Bettina, ich freue mich immer sehr auf deine Kommentare zu meinen Texten und schätze diese total, weil ich mich dann so verstanden und ernstgenommen fühle. Lieben Gruß und ich drücke dich ganz fest zurück 🤗🤗

  3. Hi Sonja. Ich finde es toll, wie tapfer u mutig du deinen Weg gehst. Danke für das Teilen deiner Gedanken u Gefühle 🤗🤗🤗

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