Mir wurde der Boden unter den Füßen weggezogen. Die letzten 5 Wochen verbrachte ich abwechselnd zwischen Hoffnung und Angst: diese Ungewissheit, ob eine Verlängerung der angefangenen Traumatherapie fortgesetzt werden kann, kostete mich jede Menge Kraft. Kraft, die ich benötigte, um mich von den Gedanken und Befürchtungen wieder ohne weitere professionelle Trauma-Bearbeitung dazustehen, abzulenken. Doch alles Daumen drücken und alle Zuversicht ausdrückenden Worte reichten nicht aus: nach nur 12(!) genehmigten Stunden ist die Traumatherapie für mich zu ende.
Was ist passiert?
Eine Traumatherapie kommt für mich momentan nicht in Frage, weil ich meine Monster im Kopf nicht im Griff habe. Bereits der Start der Traumatherapie verlief ja eher suboptimal, doch dann hatte ich persönlich das Gefühl, dass mich die Traumatherapeutin verstand und die wenigen Termine mit ihr empfand ich doch als hilfreich. Es war nicht leicht und für mich mega anstrengend, doch einzelne Erkenntnisse nahm für mich aus den Stunden meistens mit. Ich war sehr zuversichtlich, dass ich mit ihrer Hilfe früher oder später auch meine Monster im Kopf unter Kontrolle bekomme. Das war zumindest mein großes Ziel und auch für sie einen Versuch wert. Leider rechneten wir beide nicht mit dem Gutachter der Krankenkasse, der statt der beantragten Langzeittherapie (50 Stunden) nur 12 Therapiestunden genehmigte. Wie ich jetzt von meiner Ergotherapeutin erfuhr, stellte der Gutachter wohl nicht nur Bedingungen zu meinen aktuellen Gesundheitszustand, sondern auch die Therapeutin sollte Rahmenbedingungen vorhalten, die nicht zu meinem aktuellen Behandlungsbedarf passten.
Übersetzung in meinen Worten :
Ich bin kein Computer, bei dem es ausreicht die Software zu aktualisieren (update), sondern auch das Betriebssystem und die Hardware müssten mal genauer analysiert und ggf. ein Upgrade durchgeführt werden – doch das ist in der kurzen Zeitspanne nicht möglich. Für die Krankenkasse sind Hardware-Probleme und/oder der Austausch des Betriebssystems wohl zu kostspielig und eine Entsorgung finanziell attraktiver.
Kurz gesagt: Es scheitert mal wieder an meinen für mich (noch?) unberechenbaren, unkontrollierbaren Monstern im Kopf, an meiner nicht ausreichenden psychischen Stabilität für die Therapie, so dass der Gutachter daraus schließt, dass die Höchstanzahl von Therapieeinheiten des Kassenkontingents nicht ausreicht, um mir dauerhaft zu helfen. Ein Widerspruch akzeptierte er nicht bzw. bog er die Worte der Therapeutin so hin, dass (im Moment?) kein neuer Antrag erfolgsversprechend ist. Die Krankenkasse führt mich nun als hoffnungsloser Fall in ihren Akten. Selbstverständlich darf ich nochmal kommen, wenn es mir besser geht bzw. ich psychisch stabiler bin. 😝😝
Meine Monster im Kopf triumphieren gerade lauthals in meinem Kopf, weil sie es ja schon immer gewusst haben, dass mir nicht mehr zu helfen ist und ich ein hoffnungsloser Fall bin. Ein Versager, der nicht mal dazu fähig ist eine Psychotherapie zu absolvieren. Sie haben mich ja gewarnt…
Ich höre jetzt schon die Aufmunterungsversuche meiner Mitmenschen: „du darfst nicht aufgeben!„, „irgendwo öffnet sich wieder eine neue Tür!„, „du bist eine Kämpferin, du schaffst das!“ usw. – ich weiß, dass ist alles gut gemeint, doch diese Sätze helfen mir in meiner Situation leider gar nicht weiter. Sie klingen in meinen Ohren wie Durchhalteparolen – ein für mich unerträglicher Zustand soll weiter ertragen werden. Doch momentan bin echt müde: müde vom Kämpfen gegen mich, gegen meine Monster im Kopf, gegen die äußeren Umstände… und ich frage mich wirklich, wann denn der Kampf zu ende ist? Erst wenn ich als Sieger hervorgegangen bin oder wenn klar ist, dass ich diesen Kampf nicht (mehr) gewinnen kann? Wann ist der richtige Zeitpunkt zum Aufgeben?
Nach wie vielen Kämpfen ist es Zeit einen Schlussstrich zu ziehen und sich aus dem Kampfgeschehen zurückzuziehen? Ich weiß es nicht…..
Es ist ja nicht so, dass ich diesen Zustand nicht verändern wollte – seit über 15(!) Jahren kämpfe ich um passende Hilfe:
- ich habe mich durch unpassende Hilfe gequält, weil mir danach Besserung versprochen wurde, wenn ich nur lange genug durchhalte.
- Oder für mich passende Hilfe wurde abgebrochen, weil sich die Bedingungen änderten, die maximale Hilfedauer ausgeschöpft war oder irgendjemand aus dem Off plötzlich beschlossen hat, dass keine Erfolgsaussichten mehr bestehen.
- Oder eine selbst ausgewählte Hilfe wurde gar nicht erst gewährt, weil ich die Voraussetzungen nicht erfüllte. Ich war schon, zu krank, zu unflexibel, zu teuer, zu instabil, nahm keine Drogen, war nicht kriminell oder erfüllte nicht (mehr) die Kriterien einer bestimmten Krankheit.
Ermüdungsbruch der Seele
Jedes einzelne Ereignis, jede einzelne Absage oder jede einzelne Ablehnung für sich genommen, ist für die meisten Menschen mal besser, mal schlechter bewältigbar. Doch die Summe machts – immer wieder negative Rückmeldungen zu erhalten – ohne sich davon erholen zu können – führt oft zu unsichtbaren, aber tiefen Verletzungen der Seele.
Wir kennen das von jedem x- beliebigen Material – den Ermüdungsbruch.
Man braucht nur etwas ohne Unterlass hin und her zu biegen, irgendwann bricht alles durch. Damit, das wissen wir, können wir jedes Material klein kriegen. Auch den Menschen. Das benötigt dasselbe wie beim Material – wir müssen nur längere Zeit auf ihn eine Kraft ausüben, der er auf Dauer nicht Stand halten kann. Diese Form von psychischer Traumatisierung wird ja auch tatsächlich systematisiert: beim Mobbing, bei der Diskriminierung, der Diskreditierung, bei der Verleumdung, auch bei der Gehirnwäsche oder Stimmungsmache bei den Medien.
Wie gelingt eine psychische Traumatisierung?
Solche Umgangsweisen nutzen es aus, dass der Mensch fortgesetzte Hilflosigkeit nicht aushält. Dies hinterlässt Schäden, die ihn schwächen. Je länger die Unterdrucksetzung dann anhält, je weniger hält der Betreffende aus, er wird müde, erschöpft zunehmend, bis er bricht. Psychische Traumatisierung bewirkt Hilflosigkeit, aus der es kein Entrinnen zu geben scheint, um die Polarisierung von Macht und Ohnmacht.
Quelle:
KLINIK AM OSTERBACH PSYCHISCHE TRAUMATISIERUNG
Vielleicht erinnert sich der eine oder andere noch an das Gedicht „der Versuch mit dem Vogel“ in einem meiner vorherigen Beiträge (wenn nicht, kannst du es hier nachlesen). Auch hier war es nicht das einzelne Ereignis, das besonders schlimm war – die Summe war´s schließlich, die den Vogel umbrachte. Irgendwo soll auch eine Foltermethode existieren, die mit Wassertropfen auf dem kahlrasierten Kopf für höllische Qualen sorgt. Ein einzelner Wassertropfen ist nicht wirklich schmerzhaft, doch auch hier ist es die Summe der einzelnen Tropfen, die immer wieder auf die selbe Stelle tropfen und die fehlenden Fluchtmöglichkeiten, die für den unerträglichen Schmerz sorgen.
- Seit Jahren hoffte ich immer wieder, dass mir irgendjemand hilft, meine Monster im Kopf unter Kontrolle zu kommen.
- Seit Jahren wird immer wieder beantragte Hilfe abgelehnt.
- Seit Jahren immer wieder Angst, dass genehmigte Hilfe plötzlich wieder weg genommen wird.
eine letzte kleine Chance
Eine Woche nach dieser Schocknachricht saß ich bei meiner Ergotherapeutin und sie will für mich weiter gegen meine Monster im Kopf kämpfen, auch wenn ich resigniere und momentan keine Kraft für weitere Kämpfe habe. Für sie ist es okay, sowie eine verständliche Reaktion auf diese erneute Enttäuschung und sie gibt mir die Zeit, die ich brauche, um mich neu zu orientieren – egal wie lange es dauert, sie lässt mich nicht im Stich!
Sie will jetzt versuchen (in Absprache mit der Traumatherapeutin) mich soweit stabil zu bekommen, dass mir irgendwann die, von der Krankenkasse bezahlten Stunden ausreichen und ich einen Neustart bei der Traumatherapeutin wagen könnte. Ob ich diese geforderte Stabilität irgendwann erreiche? 🤷♀️🤷♀️
Doch mein Misstrauen bleibt – schließlich ist es wie überall eine Kostenfrage und so nur eine Frage der Zeit, wann auch hier die Krankenkasse den Geldhahn zudreht. Das alles macht mir Angst, Angst es nicht rechtzeitig zu schaffen wieder in die Spur zu kommen, Angst wieder zu versagen, Angst wieder alleine mit meinen Monster im Kopf bleiben zu müssen
Im folgenden Comic habe ich im Sinne des „Mülleimer-Malen“, versucht meine aktuelle Situation darzustellen. Vielleicht hilft es ja, zu verstehen, warum ich mich so fühle, wie ich mich grad fühle
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Ich habe deinen Bericht gerade gelesen. Meine Gefühle und meine persönliche Reaktion darauf als deine MUTTER kann ich hier nicht mitteilen 🤐😡 . Aber ich kann dir hier in der Öffentlichkeit sagen, das ich immer hinter dir stehe, egal was passiert und ich für dich da bin, wenn du mich brauchst.😘😘😘.
Wie ich Dir bereits gesagt habe, hatte ich diese Entscheidung nicht erwartet… Auch wenn ich nicht immer voll in meiner Kraft stehe, möchte ich Dich nach meinen Möglichkeiten unterstützen, dass Du diese Zeit gut überstehst und einen guten Weg findest, aus dieser Situation herauszukommen. Fühle Dich ganz fest von mir gedrückt. Du bist mir sehr wichtig! Ganz liebe Grüße, Bettina
Hallo.
Ich lese diesen Beitrag erst jetzt durch die Verlinkung. Ich bin ja noch nicht so lange bei dir Abonnent.
Ich möchte dir ein paar Sache hier lassen, die mir damals geholfen haben, bei der Krankenkasse nicht als „hoffnungsloser Fall“ geführt zu werden. Denn ja, das haben die bei mir damals auch versucht.
Nun ist es bei dir für einen Widerspruch zu spät aber durchaus vielleicht für einen erneuten Antrag mit eigenhändig geschriebener Begründung (beilegen), nicht ganz so hoffnungslos, wie es vielleicht aussieht.
Ich habe damals die Absurdität zum einen klar gemacht. Stabil genug zu sein für eine Therapie…Das ist so widersinnig, dass sich einem die Fußnägel aufrollen.
Aber ich habe damals Vergleiche angestellt.
Und zwar ist das Thema hoffnungsloser Fall ein Widerspruch gegen die Menschenrechte „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Es mag zwar nicht darum gehen, dass du je wieder zu 100% gesund wirst, aber es ist dein gutes Recht (!), Verbesserungen zu erzielen. Und so steht es auch in den Richtlinien zur Traumatherapie drin. Es geht darum Leid zu mildern und die Lebensqualität zu verbessern.
Der Vergleich liegt hier bei zum Beispiel krebskranken Menschen, die möglicherweise unheilbar krank sind und dennoch zur Verbesserung und Verlängerung des noch bevorstehenden Lebens und auch, weil es vielleicht eine 5% ige Chance gibt, dass es doch hilft, eine oder mehrere teure Chemotherapien bekommt.
Auch wenn deren Lebenszeit ohnehin schon begrenzt ist, auch wenn klar ist, dass dieser Mensch so oder so stirbt – da dürfte die Krankenkassen auch sagen „Nee das Geld geben wir nicht aus, ob dieser Mensch nun in 6 Monaten oder in 1 Jahr stirbt ist auch egal“. Tun sie aber nicht, weil sie sich bei medizinischen Entscheidungen raus halten müssen. Lediglich in der Psychotherapie nehmen die sich das Recht heraus darüber zu entscheiden was angeblich ein hoffnungsloser Fall sein soll. Und das ist nicht rechtens. Aber sie versuchen es dennoch.
Du kannst auch damit argumentieren, dass es möglich ist (egal wie sehr es möglich ist 😉 ), dass du somit zum Psychiatrie-Drehtür-Patienten wirst – was die auch einen A* voll Kohle kosten wird / würde.
Und im Endeffekt mit der Bewilligung einer ambulanten Therapie sogar noch Geld sparen würden.
(Damit ist das 1. Argument der Krankenkasse (die Karte die sie gerne ziehen) dass eine Behandlung auch wirtschaftlich sein muss, abgehakt)
Ich habe auch die Sesselpupser, die für mich da zuständig waren immer persönlich angesprochen, dass ich mir ein bisschen mehr von dem Leben wünsche, das SIE Herr Frau XY für selbstverständlich halten.
Und ausgeführt, was ich mir wünsche, vomLeben erhoffe.
Manchmal hilft es tatsächlich auch, ein Passfoto aufzukleben, damit man etwas mehr ist als eine „Nummer“.
Das sind so meine kleinen „fiesen“ Tricks, mit denen ich (oft aber auch erst nach langen Kämpfen) gut gefahren bin.
Es ist einfach ein Ding der Unmöglichkeit, dass die dich so dermaßen hängen lassen und es macht mich unendlich wütend.
ich weiß, das kostet Kraft, die man eigentlich nicht hat. Mich auch. jedes Mal und immer wieder. Aber der Trotz bringt mich dahin, zu kämpfen. Weil ich denen ihren Sieg nicht gönne und weil es abartig ist, wie sie mit Menschen umgehen.
und das ohne rechtliche Grundlage.
Ich wünsche dir von Herzen die Kraft für dich einzustehen.
❤
Erstmal vielen lieben Dank für eure wahnsinnige Mühe und die lange Ausführung von euren Erfahrungen.
Diese Erfahrungen mit der Krankenkasse habe ich in ähnlicher Form bei der Arbeitsagentur und Rentenversicherung gemacht. Ich musste jahrelang um die passende Unterstützung kämpfen (zahlreiche Anträge, Widersprüche) um beruflich wieder Fuß fassen zu können.
Erst jetzt ist mir klar geworden, dass meine vorherige langjährige Psychotherapie keine richtige Therapie (Fehlbehandlung?) war. Um diese Erfahrung zu bearbeiten, wurde mir geraten eine Traumatherapie zu machen und da ist dann raus gekommen, das meine Symptome wohl Richtung Traumafolgestörung weisen. Wie und warum genau? – da stehe ich noch ganz am Anfang.
Es liegt also nicht nur an der Krankenkasse, sondern auch die Traumatherapeutin kann erst „loslegen, wenn ich etwas stabiler bin. Diese Stabilisierungsarbeit will jetzt die Ergotherapeutin übernehmen, die mit der Traumatherapeutin zusammen arbeitet und selbst eine Traumaausbildung hat.
Das alles habe ich erst richtig verdrängten, nach dem ich den Beitrag verfasst habe und ich werde auch demnächst noch etwas dazu schreiben.
Eure Anmerkungen / Tipps und auch euer Blog haben mir schon ganz viele wertvolle Impulse gegeben, wie ich weiter machen kann. Vielen lieben Dank dafür.
Und das Thema „für mich einstehen“ steht ganz oben auf der Liste😊