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Das Behördenkarussell dreht sich wieder

Seit 2010 bewege ich mich wegen meiner psychischen und körperlichen Erkrankungen zwischen den unterschiedlichsten Sozialversicherungsträgern, wie Krankenkasse, Arbeitsagentur und Rentenversicherung.

Bermudadreieck: eigene Gestaltung 2022

Formulare, Anträge, Fragebögen

Dazu gehörte das Beantragen und Ausfüllen zahlreicher Formulare, die mich sogar mit absolvierten Studium der Sozialen Arbeit ziemlich überforderten und teilweise einen Nervenzusammenbruch herbeiführten. Nicht selten musste ich Formulare doppelt zusenden, da sie trotz Einschreiben mit Rückschein verloren gingen und mir dafür das Versäumnis angekreidet wurde.

Man muss sich das so vorstellen, dass in jedem Schreiben der Behörde eine Rechtsmittelbelehrung/Mitwirkungspflicht angehängt ist, in dem dem Antragsteller (also mir) gedroht wird, das Leistungen (in meinem Fall Geld zum Lebensunterhalt) wegen fehlender Mitwirkung (hier: fehlende Unterlagen) nicht gewährt bzw. eingestellt werden.

Mir ist natürlich klar, dass diese sogenannten Leistungen wie stationäre Therapie, Kranken-/ Arbeitslosengeld, Rente, Rehabilitation, usw. nicht „einfach so“ verteilt werden können und eine Prüfung der Berechtigung notwendig ist, doch WIE diese Prüfung teilweise erfolgt, ist für mich fragwürdig. Dieses „Behördendeutsch“ hat sicher seine Berechtigung und die Behördenmitarbeiter kennen es nicht anders, doch solche Formulierungen lösen bei mir heftigen Stress aus und die Amygdala fängt an zu feuern. Ohne menschliche Unterstützung von außen, die mir Sicherheit bietet und einen klaren Kopf behält, würde ich aus den Traumareaktionen beim Lesen (Kampf, Flucht, Erstarrung- bei mir hauptsächlich Erstarrung/Dissoziationen) nur schwer bis gar nicht rauskommen.

Sachbearbeiter

Zu den Formularen und Anträgen kam der Umgang der Sachbearbeiter mit mir und meinen Helferlein dazu. Oft gaben sie mir das Gefühl, mich für meine Erkrankung rechtfertigen zu müssen und oft genug hatte ich den Eindruck, dass sie mir trotz mehreren ärztlichen Attesten und Gutachten nicht glaubten, sondern für einen Simulanten hielten, der an ihren persönlichen Geldbeutel will.

z.B. habe ich von der Krankenkasse innerhalb einer(!) Woche 2 Briefe erhalten, die sich widersprochen haben. In dem ersten Brief freuen sie sich, dass sie mitteilen können, dass mein beantragter Klinikaufenthalt genehmigt ist, da der medizinische Dienst (MDK) feststellte, dass meine Essstörung stationär behandelt werden muss. Meine Wunschklinik hat mich aber kurz darauf abgelehnt, da mein Gewicht zu niedrig war. Fast zeitgleich fand ich ein weiteres Schreiben meiner Krankenkasse in meinem Briefkasten, in dem mir angekündigt wurde, dass Zahlung meines Krankengelds eingestellt wird, da die Klinik mich abgelehnt hätte und ich somit nicht behandlungsbedürftig sei und daher als arbeitsfähig gelte. Erst ein Widerspruch mit Hilfe meiner Mutter, konnte der Sachbearbeiterin klar machen, dass die Klinik mich abgelehnt hatte, weil ich ZU KRANK war. Die Sachbearbeiterin hatte nur Ablehnung gelesen und die Begründung dazu (absichtlich?) überlesen. Bei der Suche einer passenden Klinik unterstützte sie uns übrigens nicht, sondern stellte weiterhin meine Arbeitsunfähigkeit in Frage, weil ich inzwischen nicht mehr die Kraft hatte persönlich bei ihr vorzusprechen und stattdessen meine Mutter und mein Arzt die Kommunikation mit der Krankenkasse übernahmen.

Nach dem ich unter viel Stress die zum Antrag gehörenden Formulare und Fragebögen ausgefüllt hatte (Ist doch nur ein Fragebogen…) , gilt es die quälend lange Wartezeit zu überstehen, bis der Antrag bearbeitet wird. Eine Zeit voller Zukunftssorgen, denn schließlich wurde über mein weiteres Leben entschieden: „bekomme ich berufliche Unterstützung in Form einer Reha-Maßnahme“, „wird meine Therapie genehmigt“ „wird mein Lebensunterhalt gekürzt“, „wieviel ich darf noch Einkaufen“, „kann ich nächste Woche meine Miete bezahlen“ flipperten die Fragen durch meinen Kopf und die Monster hatten Hochkonjunktur (Gedankenflipper)

Wenn dann endlich das erwartete Antwortschreiben in den Briefkasten flatterte, war es oft erstmal eine Ablehnung des Antrags. Also begann das „Spiel“ wieder von vorne: Widerspruch schreiben, Formulare Ausfüllen, neues Attest mit Widerspruchsbegründung vom behandelnden Arzt anfordern und wieder WARTEN. Ich bin nur froh und dankbar, dass mein Arzt jederzeit hinter mir stand und immer noch steht, und den Sachbearbeitern der Behörden auch mal ne Ansage per Telefon macht.

Doch nicht nur Formulare, Anträge, Fragebögen und Sachbearbeiter sorgen bei mir für Ausnahmezustände sondern auch der Kontakt mit sogenannten Gutachtern, die mich und meine Situation nur vom Papier kennen und trotzdem über meine Zukunft entscheiden. Persönlich gesehen haben mich nur 2 Gutachter der Rentenversicherung, die anderen entschieden anhand der Aktenlage (wenn sie diese überhaupt anforderten). Zu der Begegnung der beiden Gutachter habe ich nur sehr wenig Erinnerungen: voller Angst heulte ich die meiste Zeit und kämpfte mit Sprechblockaden.

Problematisch war auch, wenn sich diese verschiedenen Behörden nicht zuständig fühlten und ich zwischen den einzelnen Sozialversicherungsträgern hin und her geschoben wurde.

Einmal ging es um eine berufliche Reha (offiziell: Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben), die ich beantragte. Nach einer längeren Krankheitsphase wollte ich beruflich langsam wieder einsteigen und aufgrund von fehlendem Arbeitgeber, stellte ich den Antrag zuerst bei der Arbeitsagentur. Der Medizinische Dienst der Arbeitsagentur hielt mich trotz teileweiser Erwerbsminderung (Teilrente) für voll arbeitsfähig und so versagte die Sachbearbeiterin die Unterstützung durch eine Reha oder bei der Arbeitssuche. Ich sollte alleine klar kommen und wenn ich das nicht schaffe, stehe ich -ihrer Meinung nach- dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung und habe somit keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Sie fühlte sich ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zuständig und ich solle mich bei der Rentenversicherung melden. Die Rentenversicherung lies sich aber währenddessen mit der Prüfung der Zuständigkeit Zeit bzw. forderte immer neue Formulare / Fragebögen an. Aufgrund der langen Bearbeitungszeiten lief mein Krankengeld aus und ich stand erstmal ohne Einkommen da.

Zu meiner bestehenden Krankheit kamen also regelmäßig zusätzlich massive Existenzängste in Form von Panikattacken, Suizidgedanken, Schlafstörungen, Selbstzweifel, sowie Selbstverletzendem Verhalten, um den ungeheuerlichen inneren Druck irgendwie loszuwerden. Und da diese Vorgehensweise der Behörden nicht nur ein- oder zweimal vorkam, haben sich diese Symptome nochmal chronifiziert. Mein Arzt spricht inzwischen von „Behördentrauma“. (inzwischen weiß ich, dass dieses Verhalten der Behörden bei mir eine Reaktivierung von ursprünglichen Traumata auslöst, i.S. einer Retraumatisierung) und ich bin da leider kein Einzelfall, der diese Schikane von Behörden erleben muss. Recht haben und Recht kriegen, sind zwei völlig unterschiedliche Aspekte.

aktuelle Rentenverlängerung

Pünktlich am 23.12., also 1 Tag vor Weihnachten lag der Brief der Rentenversicherung im Briefkasten. 3 Jahre hatte ich Ruhe, doch nun steht eine Verlängerung der Erwerbsminderungsrente an und damit auch die Existenzängste und negativen Erfahrungen, die so ein Antrag bei einer Behörde mit sich bringt. 5 Monate vor Ende der Laufzeit sollte der Verlängerungsantrag gestellt werden, denn solange brauchen die jeweiligen Sachbearbeiter, um über eine sogenannte Weitergewährung zu entscheiden und gegebenenfalls ärztliche Gutachter einzuschalten.

Für mich bedeutet das mindestens 5 Monate Angst, Unsicherheit, Hilflosigkeit, Ohnmacht gegenüber fremden Menschen, die mit ihrer Bewertung über meine Zukunft entscheiden. Laut meinen Behandlern bin ich weiterhin nicht arbeitsfähig bzw. „nicht in der Lage eine regelmäßige Erwerbstätigkeit von wirtschaftlichen Wert nachzukommen“, wie es offiziell heißt. Diese Formulierung triggert natürlich enorm: „Du bist nichts wert!“ – höre ich lautstark in meinem Kopf.

Ein Veränderung gab´s aber: der Antrag auf „Weiterzahlung einer Rente wegen Erwerbsminderung“ konnte diesmal online gestellt werden. Ob das gut oder schlecht ist, wird sich für mich noch herausstellen, denn wie so oft passte das vorgegebene Formular nicht auf meine individuelle Situation. Beispielsweise bestand Frage nach meinem Hausarzt aus den Formularfeldern Vor- und Nachname. Jetzt musste ich vor einem 1 Jahr meinen Hausarzt wegen Praxisaufgabe wechseln und bin jetzt Patientin einer Hausärztlichen Gemeinschaftspraxis mit mehreren Ärzten. Der Name der Gemeinschaftspraxis war aber zu lang für das vorgegebene Textfeld. Nun heißt mein Hausarzt halt „Gemeinschaftspraxis, J.B./L.N. “ 😜

Dazu gab es keinerlei Möglichkeit das Schreiben meines Psychiaters mit hochzuladen. Da ich das Risiko des Nichteinbeziehen meines Behandlers nicht eingehen wollte, habe ich den Selbstauskunftsbogen plus das Attest per Post geschickt. Normalerweise muss die Rentenversicherung die behandelnden Ärzte gegen Gebühr um einen Bericht bitten, doch dies erfolgt meiner Erfahrung nach nicht immer. Bei mir versuchten schon Gutachter ein Gutachten nach Aktenlage zu erstellen ohne meine aktuellen Befunde anzufordern. Glaskugel lässt grüßen.

Nun heißt es für mich, mich von meinen Monstern abzulenken und die „Stimmen im Kopf“ zu ignorieren, die mir die schlimmsten Horrorszenarien beschreiben. Die Angst, dass wieder alles (Gutachten, Widersprüche, kein Einkommen usw.) von vorne anfängt, kann ich momentan nur schwer unterdrücken. Ich weiß nicht, ob dieses „Behördentrauma“ für euch nachvollziehbar ist, doch die beiden Beispiele im Text sind nur ein Bruchteil meiner Erfahrungen mit Behörden. Manche Erlebnisse triggern alleine beim Drandenken so sehr, dass ich sie immer noch nicht aufschreiben kann. Die Erinnerungen mit den dazugehörigen Ohnmachtsgefühlen tauchen so real vor meinem Auge auf, als ob es gestern gewesen ist.

2 Gedanken zu „Das Behördenkarussell dreht sich wieder“

  1. Liebe Sonja,
    ich wünsche mir für alle Betroffenen, dass sich die Verantwortlichen dieser lebenswichtigen Entscheidungen mal die Tatsachenberichte wie in Deinem Blog auf der Zunge zergehen lassen, um nur einen blassen Schimmer von dem zu erfahren, was das deutsche, bürokratische System mit Antragstellern machen kann.
    Und für Dich wünsche ich mir, dass Du Dir Stück für Stück Deine innere Stärke zurückeroberst.
    Ich glaube ganz fest an Dich.
    Weil Du bist, die Du bist.
    Liebe Grüße, Bettina

  2. Es ist 23 Uhr und ich habe erst jetzt deinen Blog gelesen. Trotzdem möchte ich dir heute noch antworten.
    Fühl dich gedrückt, 🤗 denn nur so kann ich als Mutter, dir das Gefühl des Verstehens geben.
    Du weisst, (hier noch einmal schriftlich), dass ich dir soweit wie es mir möglich ist, immer unterstützen werde und dass WIR gemeinsam diese „Wartezeit“ überbrücken werden.
    Halte durch, du bist eine wirklich starke Frau 🏋‍♂️.

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